«Es geht ums Verbinden, nicht ums Trennen»

Klassische Ausschreibungen, harte Preisverhandlungen und endlose Nachträge – was Bauprojekte oft prägt, wird bei der neuen Energiezentrale in Dielsdorf bewusst hinter sich gelassen. Sie entsteht in Partnerschaft, getragen von Offenheit, Vertrauen – und ohne übliche Offerte. Jäggi + Hafter und Energie 360° berichten, wie dieses Miteinander funktioniert.

In Dielsdorf entsteht derzeit eine neue Energiezentrale, die in vielerlei Hinsicht Massstäbe setzt. Sie wird künftig die Abwärme benachbarter Rechenzentren nutzen, um diese in Energie umzuwandeln und tausende Haushalte in der Region mit klimafreundlicher Fernwärme zu versorgen. Doch nicht nur das Energiekonzept ist zukunftsweisend – auch die Art, wie das Projekt umgesetzt wird, ist alles andere als gewöhnlich: Von Anfang an standen nicht etwa Offerten und Preise im Vordergrund – wie es in der stark umkämpften Baubranche oft üblich ist –, sondern die Menschen, die auf der Baustelle arbeiten würden.

Das Resultat ist eine enge Partnerschaft zwischen Bauherrschaft und Unternehmern, die von Offenheit, Vertrauen und gemeinsamer Verantwortung geprägt ist. Auf der Baustelle in Dielsdorf gaben Markus Weibel, zuständig für spezielle Aufgaben bei Jäggi + Hafter, Bauführer Tino Eggenschwiler, Hochbau-Polier Albert Diethelm und Lukas Rendl, Projektleiter Energie Anlagen bei Energie 360° Auskunft über dieses besondere Modell der Zusammenarbeit.

Energie 360° ist als Bauherrin einen ungewöhnlichen Weg gegangen. Keine Offerte, keine klassischen Ausschreibungen. Warum dieser Ansatz?
Lukas Rendl: Uns war klar: Bei einem solch komplexen Projekt reicht es nicht nur, Zahlen auf den Tisch zu legen. Wir wollten die Menschen kennenlernen, die später unsere Energiezentrale errichten werden. Deshalb haben wir uns bewusst gegen eine Standardausschreibung entschieden. Stattdessen haben wir Gespräche geführt – fast wie in einem Bewerbungsverfahren. Dabei ging es weniger um technische Details als um Werte: Wer sind die Menschen hinter der Baufirma? Wofür stehen sie ein? Wie funktioniert das Zusammenspiel im Team?

Markus Weibel: Für uns war das tatsächlich Neuland. Normalerweise läuft es so: Eine Offerte wird abgegeben, dann folgt eine Preisdiskussion, und irgendwann darf man vielleicht mitplanen. Hier war es genau andersherum: Wir wurden eingeladen, unsere Haltung und unsere Arbeitsweise zu erklären. Für mich war das wie ein Bewerbungsgespräch, nur dass man den Job eigentlich schon hatte. Es ging darum, authentisch zu sein und unsere Arbeitsweise nachvollziehbar zu machen.

Tino Eggenschwiler: Besonders hängen geblieben ist mir die Frage: «Was bedeutet für Sie Qualität?» Schliesslich stehen wir alle für Qualität ein, das ist klar. Wir verstehen darunter aber vielleicht nicht dasselbe. 

Und was verstehst du unter Qualität?
Tino Eggenschwiler: Für mich heisst Qualität, etwas einmal und dafür richtig zu bauen – ohne jegliche doppelten Arbeiten und Nachbesserungen. Das habe ich damals auch Energie 360° so gesagt, und ich glaube, mein Qualitätsverständnis passt zu dem Arbeitsansatz, den wir hier bei diesem Projekt verfolgen. Das Gesamtergebnis zählt, und dafür tragen wir alle die Verantwortung.
 

Bauen ohne Offerte – wie kann das funktionieren? Die Kostenfrage ist ja trotzdem unausweichlich.
Lukas Rendl: Natürlich müssen wir die Finanzen im Griff haben. Wir legen gemeinsam Stundensätze und Zuschläge fest, und während der Planungsphase kalkuliert der Unternehmer seine Kosten auf Basis der konkreten Ausführungspläne. Transparenz ist dabei der Schlüssel: Alle Rechnungen und Ansätze werden offengelegt, und wir zahlen fair. Damit umgehen wir die klassischen Nachtragsdiskussionen – und haben am Ende trotzdem eine saubere Kostenbasis.

Markus Weibel: Es ist eine völlig andere Haltung: Statt Preise zu drücken und Risiken zu verschieben, schaffen wir gemeinsam Klarheit. Wir investieren weniger Energie ins Verhandeln und mehr ins Bauen.

Albert Diethelm: Es geht weniger darum, Rechnungen zu kontrollieren, sondern darum, dass wir ohne Misstrauen ans Werk gehen können. Auf anderen Baustellen werden beispielsweise jeder Kranzug und die daraus entstehenden Kosten genau notiert. Solche Kostenkontrollen entfallen in Dielsdorf und erleichtern die Projektrealisierung.

In der Baubranche wird oft über Preiskämpfe und Misstrauen geklagt. Dieses Problem scheint damit aus der Welt geschafft.
Markus Weibel: Leider sehe ich diese Entwicklung in unserer Branche. Jeder schaut, wie er die Fehler des anderen zu seinen Gunsten ausnutzen kann. Mit dem «Open-Book»-Ansatz, den wir hier verfolgen, legen wir alle unsere Kosten offen, inklusive Löhne und Lieferantenrechnungen. Es gibt keine versteckten Margen, keine Tricksereien.

Lukas Rendl: Für uns als Bauherrin bedeutet das, dass wir nicht ständig Preise nachverhandeln oder Nachträge fürchten müssen. Und für die Unternehmer heisst es, dass sie nicht im Preiskampf untergehen, sondern fair entlohnt werden. Es ist eine klassische Win-Win-Situation.

Wie wirkt sich dieser Ansatz auf die Arbeit auf der Baustelle aus?
Albert Diethelm: Man spürt und sieht, dass alle mehr Verantwortung übernehmen. Wenn ein Problem auftaucht, sagt niemand: «Das ist nicht mein Job.» Stattdessen hilft man einander. Ich erinnere mich an eine Situation mit einer Hebebühne, die aufgestellt werden musste – aufgrund eines Fehlers, den ich gefunden habe. Offiziell hätte ich mich nicht darum kümmern müssen, aber wenn der Stahlbauer und der Sanitär ohne Bühne nicht weiterkommen, verzögert sich das ganze Projekt. Also habe ich den Aufbau organisiert und alle Verantwortlichen aufgeboten. Am Ende stand die Hebebühne nach kürzester Zeit, und es konnte weitergearbeitet werden.

Tino Eggenschwiler: Ich komme immer gerne auf diese Baustelle. Wir alle haben ja Freude am Bauen, wollen bauen. Umso schöner ist es, wenn man dann auch bauen darf – ohne Leerläufe und langwierige Diskussionen. Das klingt vielleicht banal, aber tatsächlich ist das nicht überall so. Es gibt andere Baustellen, da weiss ich, dass bei Arbeitsbeginn zuerst zwei Stunden in der Baracke gestritten wird, bevor wir weiterbauen können. Hier wird diese ganze Energie, die andernorts für Streitereien verschwendet wird, in den Bau und den Projekterfolg gesteckt. Das sind Welten.
 

Das klingt schon fast zu schön, um wahr zu sein. Gibt es auch Punkte, die ihr besonders herausfordernd erlebt?
Markus Weibel: Das Modell ist kein Selbstläufer. Es erfordert eine andere Denkweise und auch viel Flexibilität. Ändern sich Entscheidungen innert kürzester Zeit, darf man nicht blockieren. Man muss den Nutzen fürs Gesamtprojekt vor Augen haben.

Albert Diethelm: Das ist tatsächlich nicht immer einfach. Als Polier fällt es mir vielleicht leichter als den einzelnen Mitarbeitenden, den Bau als Ganzes zu sehen. Umso wichtiger ist es, dass wir diese Haltung konsequent vorleben – damit sie bis zu allen Bauarbeitern durchdringt.

Ihr sprecht oft von einem besonderen Miteinander. Markus, du verwendest dabei auch den Begriff «Nahtstellen» statt «Schnittstellen».
Markus Weibel: Mir gefällt das Bild der Nahtstelle viel besser, weil es ums Verbinden geht, nicht ums Trennen. Auf klassischen Baustellen definiert man Schnittstellen, und damit Grenzen. Hier denken wir in Nahtstellen: Wir überlegen gemeinsam, wie wir die anstehenden Aufgaben gemeinsam optimal lösen können – diejenige Person übernimmt, die für das jeweilige Thema am besten geeignet ist. Das verändert die Haltung enorm.


Wo steht das Bauprojekt aktuell?
Lukas Rendl: Wir liegen sehr gut im Zeitplan. Ende dieses Jahres wird der Rohbau abgeschlossen sein. Danach beginnen die Installationen der Anlagentechnik. Im Sommer 2026 starten wir die Inbetriebnahme, und im Herbst desselben Jahres liefern wir die erste Wärme an die umliegenden Kundinnen und Kunden. Insgesamt verfügt der Energieverbund Potenzial für bis zu 3500 Haushalte in der Region Dielsdorf, Steinmaur, Niederhasli, Regensdorf und Buchs. 

Tino Eggenschwiler: Für uns Bauleute ist die Umsetzung absolut faszinierend. Wir konnten als Unternehmer schon früh Einfluss auf Abläufe und sogar auf die Geometrie nehmen. Das ist in konventionellen Projekten fast unmöglich.

Lukas Rendl: Ein gutes Beispiel für die besondere Dynamik ist die Entscheidung, statt eines einstöckigen Untergeschosses zwei Untergeschosse zu bauen. Das hat sich aus den Gesprächen zwischen Unternehmern, Planern und uns als Bauherrin ergeben. Innerhalb weniger Wochen haben wir die Lösung gemeinsam erarbeitet und eine Revision der Baueingabe vorbereitet. Nach nur sechs Monaten lag die neue Bewilligung vor – mit klassischem Vorgehen wäre dieses Tempo undenkbar gewesen.

Wenn ihr nach vorne blickt: Was nehmt ihr aus diesem Projekt für die Zukunft mit?
Markus Weibel: Für mich ist klar: So möchte ich künftig immer bauen. Weil es wieder Freude macht. Wir können unsere Energie ins Wesentliche investieren – ins Bauen. Nicht in Streitereien, nicht in endlose Sitzungen über Nachträge. Dieses Projekt zeigt, dass Vertrauen und Fairness nicht nur die Nerven schonen, sondern auch wirtschaftlich Sinn ergeben.

Tino Eggenschwiler: Ich nehme die Erfahrung mit, dass Projekte so viel effizienter laufen können, wenn alle am gleichen Strang ziehen. Das wünsche ich mir auch für andere Baustellen.

Lukas Rendl: Für uns als Bauherrin ist es die Bestätigung, dass dieser Ansatz funktioniert, und sind überzeugt, dass am Ende alle Beteiligten gewinnen.

Albert Diethelm: Für mich zeigt dieses Projekt: Wenn man Verantwortung übernimmt und offen miteinander umgeht, kann man sehr viel bewegen. Ich bin stolz, Teil davon zu sein.

Text Christoph Widmer

Foto Daniel Brühlmann

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